Plötzlich Eltern.
Vom Paar zur Familie
Jeder sagt es einem – vorstellen kann man es sich nicht. Mit der Nachricht: „Wir bekommen ein Baby“, beginnt für alle Paare die alles verändernde Reise vom Liebespaar zur Familie.
Katharina und Daniel B. sind überglücklich: Ihr Sohn Leon erblickte vor neun Monaten das Licht der Welt. „Für uns hat Leben erst jetzt einen Sinn“, sagt die 38-Jährige und lächelt. Zugleich hat die Geburt von Leon ihr Leben ordentlich auf den Kopf gestellt. „Ein Kind ist eine große Bereicherung, aber auch eine große Verantwortung. Die ersten drei Monate waren hart“, sagt sie. „Man kann den Tag nicht mehr wie vorher planen. Das Baby gibt den Takt vor.“ Das bestätigt die Paar- und Sexualtherapeutin Angela Lorenzen aus Wiesbaden. Als Paar unterschätze man häufig, welche Auswirkungen ein Kind auf die Beziehung hat. „Ein Kind hat einen Lebensrhythmus, der nicht verhandelbar ist und der den Rahmen für alles andere setzt.“ Das erste Jahr als Eltern gilt als besonders schwierig und bringt so manche Klippen, die zu umschiffen sind. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man nicht auf die neue Situation vorbereitet ist, die mit der Geburt eines Babys auf das Paar zukommt, sagt Barbara Reichle, Professorin für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. „Das ganze Leben wird umgekrempelt“, sagt Reichle.
Konfliktthemen eskalieren schneller
Streit mit dem Partner ist vorprogrammiert, wenn der Mann mehr arbeitet, weil ein Gehalt wegfällt, die Frau sich aber wünscht, dass er mehr für sie und das Kind da ist. Diskussionen in Erziehungsfragen und unterschiedliche Ansichten können das Paar ebenfalls zermürben, wenn keine gute Lösung gefunden wird. „Das beeinträchtigt das Paarklima, und wenn man die neue Rolle nicht gut akzeptieren kann, schafft das Distanz“, warnt Reichle.Zu wenig Schlaf bringt ebenso Konfliktpotenzial. „In der Anfangsphase der Elternschaft, die gut ein Jahr dauern könnte oder auch länger, hat man ein chronisches Schlafdefizit“, sagt Reichle. Schlafmangel, unter dem vor allem Mütter leiden, weil sie meist für die Ernährung des Neugeborenen zuständig sind, sorgt für Stress – die Eltern sind leichter reizbar und weniger tolerant. „Alle Themen, die ich sowieso schon in der Partnerschaft hatte, werden brisanter“, sagt Lorenzen. Streitthemen können eskalieren. Laut Reichle kann sich zu wenig Schlaf sehr nachteilig auf die Sexualität auswirken. Lorenzen fügt hinzu.
„Die Lust auf Sex ist bei Frauen viel stressanfälliger als bei Männern.“
Sie empfiehlt, für sich eine geeignete Methode zu finden, um bei Bedarf Stress gezielt abzubauen. Denn eine Mutter, die innerlich ruhig ist, hat auch einen positiven Effekt auf das Kind.
Veränderungen nach der Schwangerschaft belasten viele Frauen. Sie fragen sich, ob ihr Körper noch schön und begehrenswert ist. „Die Frau muss sich in den meisten Fällen erst selbst wieder mit ihrem Körper anfreunden“, sagt Lorenzen. Sie rät zu Rückbildungskursen sowie sanftem Sport wie Yoga. Auch Katharina B. hatte in den ersten drei Monaten nach der Entbindung keine Lust auf Geschlechtsverkehr. „Der ganze Körper war auf Mama-Sein eingestellt“, erinnert sie sich. Inzwischen sind sie und Daniel B. sich körperlich wieder näher gekommen. Wenn Leon schläft, haben die beiden Zeit, um nur Mann und Frau zu sein. Zärtlichkeit bleibt wichtig „Liebe und Erotik ist bei Eltern zwar noch vorhanden, haben aber eine andere Qualität“, weiß Reichle. „Wenn es gut läuft, gibt es viel mehr Vertrautheit in dieser Phase, weil die gemeinsame Verpflichtung eines Kindes da ist.“ Das bestätigt Katharina B.. „Die Beziehung ist noch intensiver geworden.“ Lorenzen empfiehlt, sobald man sich wieder nach Erotik sehnt, sich viel Zeit für die gegenseitige Erforschung des Körpers zu nehmen und durch Berührung in eine körperliche Entspannung zu kommen. Im besten Fall, ohne dass diese Zärtlichkeit zu Sex führen muss.
Erst diese Ziellosigkeit ermöglicht eine wirkliche Entspannung und führt so mit größerer Wahrscheinlichkeit zu genussvoller, lebendiger Erotik.
Sich streicheln, massieren oder einander zu berühren, stärkt die Intimität. „Was man nicht machen sollte, ist, es ganz zu lassen, nach dem Motto: Wir setzen aus und wenn das wieder klappt, was wir gewohnt sind, fangen wir wieder genauso an“, sagt Lorenzen. Für Katharina und Daniel B. waren und sind zärtliche Berührungen wichtig. „Wir kuscheln viel, auch mit dem Kleinen.“ Um für den Nachwuchs genug Zeit zu haben, beschneiden die meisten Eltern zunächst ihre Freizeitaktivitäten. Um dennoch wieder Zweisamkeit zu kultivieren, geben manche Eltern das Kind, sobald es etwas größer ist, stundenweise in die Obhut von Babysittern oder Großeltern. Viele Amerikaner nennen es „Date Night“. Manche gehen schick essen oder wollen nur Zeit für sich selbst. Doch nicht alle Paare genießen die plötzliche Freiheit. „Das versuchen viele Eltern und die meisten haben mir erzählt, dass sie nicht so viel Spaß daran haben“, so Reichle. „Weil sie unruhig sind, ob der Babysitter alles richtig macht. Man sollte es aber ruhig ausprobieren.“ Sie rät, mit dem Liebsten etwa einen Waldlauf zu machen oder einen Tanzkurs zu besuchen, um den Kopf freizukriegen. „Meine Eltern sind eine große Hilfe“, sagt Katharina B.. Ihre Eltern passen auf den Kleinen auf, wenn sie mal einen Arzttermin hat, zu dem sie ihr Kind nicht mitnehmen kann und ihr Mann bei der Arbeit ist. Die Oma als Babysitter zu nutzen, um Freizeit zu haben, wollen die beiden jedoch nicht. „Abschieben gibt es bei uns nicht“, betont Daniel B. „Der Kleine ist bei uns immer dabei .“
Eltern brauchen auch Zeit zu zweit
Reichle dagegen findet es nicht schlimm, wenn die Kleinen auch mal Zeit mit den Großeltern verbringen. „Viele Babys lieben Omas und Opas – und umgekehrt“, sagt sie. Sie seien nämlich häufig gelassener als die jungen Eltern. Es gehört auch zu den Elternaufgaben, das Kind in die neue Familie zu integrieren, und die besteht nicht nur aus den Eltern. Auch für die Partnerschaft ist es nicht unbedingt gut, wenn „der Kleine“ immer dabei ist. Man muss auch mal die Gelegenheit haben, nur zu zweit zu sein, und wenn es nur dazu ist, ohne die Anwesenheit des Kindes zu streiten. Lorenzen und Reichle sind sich einig, dass man sich auf das Leben mit Kind in gewissen Rahmen vorbereiten kann. In Rheinland-Pfalz gibt es beispielsweise flächendeckend Elternvorbereitungskurse unter dem Namen „Auf den Anfang kommt es an“, an deren Entwicklung Reichle beteiligt war. In dem Kurs wird vermittelt, wie Aufgaben verteilt werden können, außerdem lernt das Paar Elternkompetenzen.
Realistisch planen, Aufgaben verteilen
Das Paar sollte sich überlegen, bevor der Nachwuchs da ist, wie die künftige Rollen- und Aufgabenverteilung aussieht, mit der beide Partner zufrieden sind. Und sie sollten realistisch planen, so Reichle. Gespräche mit anderen Eltern aus dem Freundes- und Familienkreis können ebenfalls hilfreich sein. Zudem sollten beide Elternteile die Chance haben, ihre Freundschaften zu pflegen – ohne dass das Kind dabei ist. Ein Baby bedeutet aber natürlich nicht nur Stress und Belastung, sondern Glück, tolle Erfahrungen – und es schweißt viele Paare zusammen. „Ein Kind ist eine tolle Bereicherung“, sagt auch Daniel B. Seine Frau fügt hinzu: „Wir hatten auch Glück, dass wir ein liebes Baby haben, das von Anfang an nachts durchgeschlafen hat.“ Sie erlebt ein Stück weit ihre Kindheit wieder, wenn sie die Welt durch Leons Augen betrachtet. „Weihnachten wird mit einem Kind wieder zu etwas Besonderem.“ Die Geburt von Leon habe schon eine Umstellung bedeutet, gibt Katharina B. zu. „Das Leben ist von heute auf morgen anders. Aber anders schön. “Kommende Woche beleuchten wir an dieser Stelle den umgekehrten Prozess: Wenn bei Eltern nach dem Auszug des letzten Kindes wieder die Paarbeziehung in den Vordergrund rückt.
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